Die Türkei vor der EM-Vergabe
Die Animation zeigt das neue Olympia-Stadion in Istanbul aus der Vogelperspektive: ein runder Bau mit Verzierungen und bunten Details - von oben wirkt er wie ein überdimensionaler Donut. Es ist erst mal nur ein Entwurf dessen, was sein könnte, sollte die Türkei am Donnerstag das Rennen gegen Deutschland um die Ausrichtung der EM 2024 gewinnen.
Dann würde das alte Atatürk Olympia-Stadion, das zur Bewerbung für die Olympischen Spiele 2008 gebaut wurde, abgerissen und durch das neue ersetzt werden: mit einer Kapazität von 85'000 Zuschauern, Tribünen nahe am Rasen und verbesserter Akustik. Damals gingen die Spiele an Peking. Auch für die EM hatte die Türkei sich mehrmals beworben - und war immer gescheitert. Doch diesmal soll es klappen.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan - früher selbst Fussballer - sagte im Gespräch mit der Funke Mediengruppe, er denke, dass sein Land alle Voraussetzungen für eine Austragung der EM erfüllt habe und den Zuschlag erhalten sollte. Er erwarte von der UEFA eine "faire Beurteilung". Auch Yildirim Demirören, Chef des türkischen Verbands, ist von einem Erfolg überzeugt: "Wir glauben, dass wir jetzt an der Reihe sind. Wir möchten unsere Leidenschaft für Fussball mit ganz Europa teilen", sagte er bei der Vorstellung der Bewerbung.
Dabei geht es bei der EM-Vergabe um mehr als nur um Fussball. Für Erdogan wäre der Zuschlag ein Sieg in einer krisengeschüttelten Zeit. Er reist am Donnerstag nach Deutschland und wird voraussichtlich dort vom Entscheid erfahren. Mit seinem Besuch will Erdogan die Beziehungen zu Deutschland und Europa wieder verbessern. Nachdem er sich mit den USA überworfen und sein Land in eine Währungskrise manövriert hat, braucht er Freunde und Erfolge. Die EM käme da wie gerufen. Und er könnte zeigen, dass es sein Land trotz aller Kritik an der Menschenrechtslage mit Europa aufnehmen kann.
Emir Güney, Direktor für Sportstudien an der Kadir Has Universität in Istanbul, denkt, dass eine EM-Vergabe zunächst einen positiven Einfluss auf Investoren haben wird. Der Fussball-Experte Tugrul Aksar weist dagegen darauf hin, dass Erdogan angesichts der Währungskrise den Bau neuer Grossprojekte erst einmal verschieben will, die Türkei aber für die EM in Stadien investieren müsse. Baumaterialien müssten importiert und in Euro oder Dollar bezahlt werden. Ein Risiko, sollte die Lira - die seit Anfang des Jahres 40 Prozent ihres Wertes verloren hat - diese Talfahrt fortsetzen. Aksar kommt deshalb auch zu dem Schluss: "In einer Zeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten klingt die Verpflichtung der Türkei, solch ein Grossereignis auszurichten, nicht nach einem nachhaltigen und realistischen Plan."
Deutsche Stadien haben mehr Potenzial
Und dann die Menschenrechtslage: Die türkische Führung geht nach wie vor hart gegen Oppositionelle vor. Andrew Gardner, Türkei-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, sagt, dass sich die Menschenrechtslage in der Türkei unabhängig von der politischen Führung verbessern muss. Die UEFA habe im Fall eines Entscheids pro Türkei "die Pflicht, das den türkischen Behörden deutlich zu machen". Und bei einem Zuschlag müsse sie die Forderungen auch umsetzen.
In ihrem Evaluationsbericht stellte die UEFA dem türkischen Fussballverband zwar insgesamt eine positive Bewertung aus, kritisierte aber auch, dass ein Aktionsplan zum Thema Menschenrechte fehle. Inwieweit das Thema die Abstimmung beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Favorit ist Deutschland, das dem Bericht zufolge auch in Sachen Infrastruktur überlegen ist. Ein weiterer türkischer Nachteil: Deutsche Stadien haben grössere Kapazitäten und damit das Potenzial für höhere Einnahmen.
Die Türkei wirbt unter dem Motto "gemeinsam teilen" vor allem mit ihrer geografischen Lage zwischen Europa und Asien und der kulturellen Vielfalt der geplanten neun Austragungsstätten von Istanbul bis Gaziantep an der syrischen Grenze.
Der britische Journalist Patrick Keddie, der über den türkischen Fussball ein Buch geschrieben hat, sagt, für Erdogan sei es eine Win-win-Situation: "Wenn die Türken gewinnen, ist es für Erdogan eine gute Gelegenheit, sich ins Rampenlicht zu stellen. Wenn sie den Zuschlag nicht erhalten, kann er natürlich sagen, dass Europa die Türkei unfair behandelt." (sda/dpa)
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